Samstag, 29. August 2015

Schluss mit lustig

Ich wusste ja, dass das kommt, und heute ist es soweit: Natürlich werde ich von den blöden "Gefüüüühlen" eingeholt, nachdem ich mit meinen Witzchen die Schmetterlinge im Bauch vertrieben habe. Die zarten Wesen hatten gegen schwarzen Humor keine Chance. 

Gestern konnte ich - wie so oft - nicht einschlafen und habe meinen Krimi weiter gelesen. Der sich als Liebesgeschichte entpuppte, in einem weit umfassenderen Rahmen als dem der üblichen Zweierbeziehungs-Romantik. Die letzten Seiten verschwammen vor meinen Augen. Ich hatte schon bei den schlimmen Nachrichtenbildern früher am Abend geweint, einerseits um die Flüchtlinge und andererseits um mein Herz. 

Vieles geht mir gerade durch den Kopf - die Bücherliste der letzten Tage erzählt davon, was da durcheinander purzelt: 

Brené Brown - Verletzlichkeit macht stark
Louise Penny - How the Light Gets In (der Krimi von oben)
Udo Baer - Wo geht's denn hier nach Königsberg?
Marie Kondo - Magic Cleaning
Julia Cameron - The Right to Write
Friederike Mayröcker - ich sitze nur GRAUSAM da

Im Buch von Louise Penny kommt ein Gedicht vor, dass einer der Figuren in der Inspektor Gamache-Serie zugeschrieben wird. Ruth ist eine bejahrte Dichterin, die versucht, alle um sich herum weg zu beißen, und dies natürlich mit großer verbaler Kraft. Die Anfangs-Zeilen werden immer wieder zitiert, und diese Zeilen kannte ich schon aus einer früheren Gamache-Geschichte:

Who hurt you, once,
so far beyond repair
that you would meet each overture
with curling lip?

Als ich das zuerst las, hatte ich das Gefühl, die Dichterin habe ihre Hand sanft auf meine Schulter gelegt. (Dies ist für Dich, Sebastian. Du hast doch gefragt, was Oscar Wilde damit gemeint hat, dass wir lesen, um uns nicht so allein zu fühlen.) War ich nicht auch eine Meisterin der "curling lip"?

Meine ewige Frage ans Leben ist ja genau die - bin ich "beyond repair"? 

Im Buch wird das mit Worten von Leonard Cohen beantwortet: 

Ring the bells that still can ring
Forget your perfect offering
There is a crack, a crack in everything
That's how the light gets in.

Welche Sicht am Ende bevorzugt wird, sagt Louise Penny ja schon mit der Auswahl des Titels. Aber so ausführlich wollte ich das hier gar nicht erzählen. Louise Penny verdient einen eigenen Post.

Warum hat mich gestern die Traurigkeit wieder so nieder geschmettert? "Nur" wegen Liebeskummer? Wegen eines Erlebnisses, das für normale Leute eine alberne Nichtigkeit wäre? Bei einem Abendspaziergang habe ich nachgedacht und bin darauf gekommen, dass ich wieder einmal zuviel geschluckt habe:

Vor zehn Tagen wurde mein Vater als Notfall ins Krankenhaus gebracht. Ich erhielt den üblichen Anruf ohne Angabe, was genau los war und rannte los zur U-Bahn. Déjà vu in schlimmster Form. Von Haus zu Haus brauche ich mehr als eine Stunde und habe also Zeit genug,  mir Schreckliches auszumalen. Und schwanke zwischen Angst und Gefasstheit. Ich denke sogar: Falls Vater gestorben ist, komme ich wohl damit zurecht. Er hatte eine schöne Zeit die letzten Jahre, und vorgestern waren wir noch zusammen und haben fröhlich bei Kaffee und Kuchen über Gott und die Welt geplaudert. (Alice Miller zum Trotz.) 

Als ich in der Klinik ankomme, ist mein  Vater kreuzfidel, wenn auch etwas verwirrt, und flirtet schon wieder mit den Krankenschwestern. Es war nicht der dritte Schlaganfall, sondern ein Schwächeanfall, von dem er sich hier erholen soll. Und natürlich: Wie ich es vor langer Zeit gelernt habe, stelle ich mich blitzschnell auf die neue Situation ein, denn für meine Angst und Aufregung ist hier kein Platz - und auch kein Anlass mehr. 

Bis endlich alles untersucht und geklärt ist, habe ich sechs Stunden im Krankenhaus verbracht und mich um  vieles gekümmert, nur nicht um  mich. Es scheint zudem ein Naturgesetz, dass man auf jeder Station mindestens einen völlig empathiefreien Mitarbeiter findet. Drei davon sind mir in diesen Stunden begegnet. Weil ich meinem Vater nicht schaden will, habe ich den Mund gehalten.

Die nächsten paar Tage fahre ich zweimal in die Klinik, besorge Dinge aus Vaters Wohnung, putze dort ein bisschen, vermittle zwischen Vater und Personal und so weiter. 

Ich höre mir Berichte an über den Pflegezustand und -bedarf meines Vaters. In seiner Akte steht, es gebe nur noch eine Tochter, die sich nicht engagiere, und der alles ziemlich egal sei. Vor lauter Schock und Empörung frage ich gar nicht, woher diese Beurteilung kommt. Ich bin wieder ganz klein und sitze auf der Anklagebank. Versuche die Ruhe zu behalten und erkläre der Sozialarbeiterin, dass mein Vater stolz ist, weitgehend allein zurecht zu kommen, und dass ich ihn nicht bevormunden werde, solange er noch Herr seiner Sinne und vor allem seines Verstandes ist. Die Frau findet meine Einstellung gut, und ich schleiche möglichst unauffällig von der Anklagebank zurück in den Zeugenstand. 

Dann ist mein Vater wieder zu Hause mit der Diagnose, dass soweit alles gut sei. Ich besuche ihn gleich und werde auf dem Weg zu seiner Wohnung von einem extrem dicken Mann angerufen, der von seinem Fahrrad steigt und sich als Herr W. vorstellt. Seinen Namen kenne ich aus Erzählungen meines Vaters. "Ei, isch wohn' doch schon zehn Millione' Jahr' da in dem  Haus!"

Dann beginnt Herr W., mir alles Mögliche aus seinem Leben zu erzählen. Er ist geschieden, und seine Frau will komischerweise nichts mehr mit ihm zu tun haben. "Isch versteh' des net, aber wie Fraue' halt so sind..." Sein Rücken tut dauernd weh. Immerhin hat er noch Kontakt zu seinen Töchtern. Wie gelähmt höre ich mir freundlich alles an und mache ab und zu diese typischen Geräusche, wie man sie halt macht in so einer Situation. 

Dann beginnt er eine Geschichte über meine verstorbene Schwester. "Ihr' Schwester war ja immer Scheiße druff. Die hat nie gegrüßt, bis isch ihr mal die Meinung gegeischt hab'. Und dann hat sie misch mit de' übelste' Ausdrück' beschimpft....". Ich sage leise, dass meine Schwester meist sehr unglücklich gewesen sei. Heute würde ich mir am liebsten die Zunge dafür abbeißen. 

Meinem Vater erzähle ich, dass ich Herrn W. getroffen habe und wir uns  ganz nett unterhalten hätten. Ich bin offenbar eine verlogene Schlampe, genau wie Herrn W.'s Ex-Frau. 

Zu schlechter Letzt kommt noch die Ablehnung meines Widerspruchs beim Arbeitsamt. Unten auf dem kaum verständlichen Schreiben ist eine Anmerkung: "Ihre Meinung ist uns wichtig! Bitte machen Sie mit bei unserer Umfrage." Man wird also nicht nur abgeschmettert, sondern auch noch verhöhnt.  

Über all das habe ich mit niemandem wirklich geredet. Wenn überhaupt, erzähle ich so, dass sich der Zuhörer möglichst gut unterhalten fühlt - siehe oben bei "Witzchen". Meinen Schmerz und meine Sehnsucht, auch mal getröstet und unterstützt zu werden, zeige ich nicht. Ich weiß immer noch nicht, wie das geht. Ich darf niemandem zur Last fallen. Dieser Glaube sitzt tief.

Und immer noch ist es so, dass ich erst mit Verspätung fühle, was alles auf mich eingeprasselt ist. Kein Wunder, dass ich so traurig und erschöpft bin. 

Verletzlichkeit macht stark, nach Brené Brown. Gestern habe noch darüber nachgedacht, dass ich das nicht ganz begriffen habe. Heute frage ich mich: Ist damit gemeint, dass es letztendlich mehr Kraft kostet, sich unverletzlich zu zeigen? Und wie geht es anders?

Die Versuchung ist groß, mein Herz wieder fest zu verschließen und den Schlüssel weit weg zu schleudern. Die Herausforderung ist, gerade das nicht zu tun. 

Einerseits müsste ich dann womöglich wieder ewig lange suchen, bis der Schlüssel gefunden ist. Andererseits ist da die Hoffnung, dass durch die Risse das Licht auch zu mir findet. Sind ja genug da inzwischen. 

Freitag, 28. August 2015

Männerforschung: Vorläufiges Forschungsergebnis

Wieder einmal zeigt sich: jeder tagebuchartige Blogeintrag ist nur eine Momentaufnahme. OK, ist nun keine überwältigende Erkenntnis, sondern einer der Gründe, warum man überhaupt Tagebuch schreibt. Gemäß dem Motto, dass das Leben zwar vorwärts gelebt wird, aber rückwärts verstanden. 

Aber hier geht es ja um meine Forschungsreihe, und das laufende Experiment war entgegen meiner Annahme noch gar nicht abgeschlossen. Der zweite Teilnehmer entwickelte sich leider in rasantem Tempo zu einem nicht mehr ernst zu nehmenden und schon gar nicht begehrenswerten Über-Romantiker. Damit hatte ich nicht gerechnet. Daher musste ich den Versuch vorzeitig abbrechen. Oder eher rechtzeitig - von meinem Standpunkt aus. Der nicht der seine war.

Das klingt jetzt vielleicht lustig, aber im Grunde ist es höchstens tragikomisch. Der Mann war ja eh' schon viel jünger als ich, verhielt sich aber wie ein Teenager. Und konnte gar nicht fassen, dass mich das abgeschreckt hat. Angebetet werden finde ich ungefähr eine halbe Stunde lang amüsant, aber dann will ich 'runter vom Podest und auf Augenhöhe weitermachen. 

Wie es dem Versuchsteilnehmer geht, weiß ich nicht. Immerhin kann er mit seinem Hund schmusen.  

Wie geht es mir?

Ich bin ein bisschen traurig. Ich bin beruhigt, dass ich mich auf meine Intuition verlassen kann. Und dass ich ihr gefolgt bin. Ich bin froh, dass ich nicht wie so oft alle Signale ignoriert und mich ins Unglück gestürzt habe. Und dass ich klar gesagt habe, was ich will und was nicht. Letzteres ist mir früher überhaupt nicht möglich gewesen, ja allein der Gedanke, dass ich etwas wollen könnte oder etwas mit zu entscheiden  hätte, war mir lange Zeit völlig fremd. 

Tja.

Was alle Menschen ersehnen - so glaube ich jedenfalls - nämlich wirklich gesehen zu werden und im Auge des anderen Freude über das Gesehene zu entdecken - und womöglich Neugier auf Mehr: Das wäre mal schön. 

Eine Freundin sagte heute, ich müsse ja nun zumindest einen Kontrollversuch durchführen. Und noch irgendwas von Blindtest und Placebo....

Die Hoffnung  besteht, dass dieses Einzelexperiment nicht repräsentativ war. Ich bin wild entschlossen, meine Forschungen weiter zu betreiben. 

Allez-hopp, mon coeur! 







Sonntag, 23. August 2015

Männerforschung

Ich hatte mal wieder ein Date. Mit langem Vorlauf - daher war ich nicht drauf gefasst, dass es doch wieder nur um "das Eine" ging - das alte Spiel. Wobei das Spiel an sich Spaß macht  - oder wieder Spaß macht, denn ich habe ja sehr lange Zeit nicht mitgespielt. Viele Runden ausgesetzt. Nicht mal von draußen zugeguckt, weil mich das nur unglücklich, manchmal auch zynisch gemacht hat. 

Vielleicht kenne ich auch die neuen Regeln nicht? Allerdings dachte ich, die ändern sich nie. 

Es begann vor ein paar Wochen. Damals habe ich mit einem kleinen Hund geflirtet, worauf das Herrchen sagte: "Und was ist mit mir?" Darauf ich (augenzwinkernd): "Was soll mit  Ihnen sein?" "Mit mir wollen Sie nicht flirten?" "Ich fand einfach nur Ihren Hund sehr süß." "Und mich nicht? Oder falle ich nicht in Ihr Beuteschema?" "Sie fallen eher nicht in meine  Altersgruppe." "Das macht doch nichts, ich bin sehr belesen." Mit Schlagfertigkeit kann man mich schon kriegen. Dazu kam natürlich, dass der junge Mann sehr attraktiv war - sonst hätte die Unterhaltung gar nicht erst stattgefunden. 

Beim nächsten und weiteren zufälligen Treffen haben wir das nette Geplänkel fortgesetzt und ich zunächst standhaft ein geplantes Treffen verweigert. Ich schätzte den Altersunterschied auf mindestens zwanzig Jahre und fragte mich, was das Ganze sollte außer einer netten Trockenübung für den Ernstfall. Wobei - was soll der Ernstfall eigentlich sein? 

Inzwischen habe ich eingesehen, dass ich mit Männern meines  Alters nicht viel anfangen kann, und die offenbar gar nichts mit mir. Dazu kommt, dass jüngere Männer ein für alte Feministinnen wie mich akzeptableres Bild von Partnerschaft haben. Jedenfalls die, die IQ-mäßig ungefähr auf meinem Level sind. Auch da sind Konflikte vorprogrammiert, wenn Mann sehr kluge Frauen beängstigend findet statt anregend. Dazu gehört allerdings ein Selbstbewusstsein, das sich nicht auf Karriere oder den Erwerb von Autos, Häusern, Designer-Uhren oder Pferdepflegerinnen gründet. Ich habe schon oft völlig unterwältigt zugehört, wie einer mit solchen Besitztümern Eindruck machen wollte. Und mir nicht mal glauben konnte, dass mich so etwas nicht interessiert. Ich erinnere mich, wie ein Banker zur Lunch-Verabredung in der Kantine seinen Porsche-Schlüssel auf das Tablett schmiss und mit einem Seitenblick überprüfte, ob ich das auch mitgekriegt hatte. 

Die meisten Beziehungen in meiner Umgebung gehen so, dass Männer sich kurz nach Fixieren des Paar-Status in kleine Jungs verwandeln und die Frauen in Muttis. Entsetzlich. Oooooh - Zynismus-Alarm.

Aber ich schweife ab. Jedenfalls bin ich offen für Unkonventionelles - war ich immer schon, wenn ich so überlege. Und als Konsequenz - und weil ich mir ja ehrlicherweise einen Spielkameraden wünsche - dachte ich: warum nicht? Geh' ich mal mit ihm aus. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er noch nichts gesagt oder getan, was mich hätte zusammen zucken lassen, und das ist schon eine ganze Menge. Geht nämlich schnell bei mir. Braucht nur einer unironisch "Mädels" sagen, und zack. Disqualifiziert. 

Allerdings war ich seit Herausgabe meiner Handynummer mit romantischen SMS überschüttet worden. Meine Antwort: "Nicht so schnell, mein Junge!" in allen nur denkbaren Varianten. 

Vorgestern war es also so weit. Ich bekam eine Rose zur Begrüßung ("keine rote, denn ich will Dich ja nicht bedrängen"), und dann schlenderten wir zu einem nah gelegenen Lokal. Früher war dort ein ganz hübsches, im Lounge-Stil eingerichtetes Restaurant gewesen - jetzt nicht mehr. Bedient wurden wir von einem schlampig wirkenden Kellner, der sein Hemd so weit offen trug, dass wir uns am grauen Brusthaar und diversen Goldkettchen hätten erfreuen können, wenn wir das richtige Zielpublikum gewesen wären. 

Ich war bereit, das komisch zu finden. Ich war außerdem gespannt auf den Abend und hatte mir nichts vorgenommen, außer auf meine Gefühle zu achten. Und meinen Begleiter ernst zu nehmen. Auch beim zweiten und dritten Blick fand ich ihn anziehend. Ich fühlte mich wohl und nur manchmal irritiert von schon sehr ausgefeilten Zukunftsvisionen und voreiligen Liebeserklärungen. Davon abgesehen habe ich mich gut unterhalten - über Literatur, Familie, Jugendsünden, Musik, witzige Erlebnisse, und keinen Moment habe ich mich gelangweilt. Mir kam sogar der Gedanke, dass ich bei diesem Mann jedenfalls nicht klagen könnte, dass er schwer zum Reden zu bringen sei. Im Gegenteil. Es machte Spaß ihm zuzuhören und Gemeinsamkeiten zu entdecken oder gar ein bisschen zu streiten.

Und es war auch schön, mal wieder jemandes Hand zu halten und meine Hände ("Die sehen einsam aus.") gestreichelt zu bekommen. Und über die Bedeutung von Küssen zu philosophieren, inklusive praktischer Übungen.

Mit meiner Alterseinschätzung lag ich einigermaßen richtig, aber inzwischen war mir das egal. Nicht egal waren mir die Beteuerung von ernsten Absichten und Befürchtungen, ich könnte ihn vielleicht nicht ernst nehmen. Es gab überhaupt keinen Anlass dafür, also konnte das nur bedeuten, dass er selbst mit diesen Themen ein Problem hatte. Falls dies eine ernste Geschichte werden sollte, oder wenigstens eine ernst gemeinte, dann waren das schon ein paar Warnsignale. Dies jedenfalls war meine Einschätzung als erfahrene Hobbypsychologin. Ich wollte mir jedoch den Spaß nicht verderben lassen. 

Mit Spaß meine ich nicht, dass ich mich lustig machen wollte oder irgendwie "drüber stehen", amüsiert und distanziert bleiben. So habe ich es früher gehalten, und dabei ist nie etwas Gutes herausgekommen. Heute weiß ich, dass ich einigen Männern und auch mir damit Unrecht getan habe. Ich will - das gehört zu dem Mich-ins-Leben-schmeißen - sehen und fühlen, was passiert, und auch mal ein Risiko eingehen.  

Natürlich wollte er den Abend verlängern, aber ich fand, dass es erstmal gut sei. "Wir haben doch Zeit", sagte ich, und er stimmte mir zu und war scheinbar glücklich, dass ich ihn wieder treffen wollte. 

Er brachte mich nach Hause, und ich versprach mich zu melden,  allerdings erst am übernächsten Tag. Für den nächsten Tag hatte ich Pläne, und ich wollte jetzt nicht plötzlich alles umschmeißen, nur weil ich eventuell vielleicht möglicherweise kurz davor war, mich ein bisschen zu verlieben. So weit, so gut.

Ich hatte viel zum Nachdenken - zum Teil war ich selbst erstaunt über die Ergebnisse. Vielleicht  bin ich doch ganz gern allein? Jedenfalls brauche ich viel Freiraum und Zeit für mich. Ich bin auch viel eher bereit für Kompromisse und nicht mehr so streng oder kleinlich in der Job-Beschreibung für den potenziellen Gefährten. Ist doch keine schlechte Voraussetzung. Ich fand mich ganz in Ordnung. 

Am nächsten Tag schicke ich ihm einen netten Gruß per  SMS - und habe nie wieder etwas von ihm gehört oder gesehen. 

Im Gegensatz zu früher mache ich mir keine Gedanken darüber, was in seinem Kopf vorgeht und versuche gleichzeitig, nicht in meine Vernichtungssätze abzudriften, nach dem Motto: ich ziehe nur Verrückte an etc. etc.

Aber trotzdem: manchmal wüsste ich gern, warum jemand so etwas macht? So viel Aufwand für einen erhofften One-Night-Stand? Oder ging es um eine Wette? Oder um nachträgliche Angst vor der eigenen Courage? 

Seltsamerweise hat  das Ganze mich irgendwie beflügelt, jedenfalls  war ich heute sehr produktiv und gut gelaunt.

Das Leben ist schön und seltsam. Oder um mit meinem Vater zu sprechen:

"Also langweilig wird es hier nie!"















Freitag, 7. August 2015

Oh Boy!

Gerade läuft im Fernsehen "Oh Boy", den ich seinerzeit geschwänzt habe und endlich mal gucken will. 

Ich hab viele solcher Lücken, weil ich sofort trotzig werde, sobald irgendwas sehr gelobt wird. Dann will ich damit erstmal nichts zu schaffen haben, denn ich habe ja einen ganz besonders besonderen Geschmack. Sobald die Trotzphase vorbei ist, entscheide ich dann völlig unabhängig. 

Wunderbarer Schwarzweiß-Film, Tom Schilling in der Hauptrolle, in den anderen Rollen eine ganz erkleckliche Ansammlung meiner Lieblingsschauspieler, Jazz-Soundtrack, spielt in Berlin - sollte sehr vergnüglich sein, aber nicht für mich! 

Ich bin einfach zu sensibel.

Gleich will ich dem Psychologen, bei dem der arme Tom in der ersten Szene den sogenannten Idiotentest absolvieren muss, eins in  die Fresse geben, weil der natürlich ein Fiesling ist und den armen Tom als Opfer für seine machtgeilen Fantasien benutzt.

Dann landet der arme Tom auf der - wie sich noch herausstellen wird - endlosen und vergeblichen Suche nach einem anständigen Kaffee in einer völlig bekloppten Kaffeebar, und die ist so, wie die heutzutage eben sind, mit Auswahl an Fantastilliarden Sorten Kaffee mit unglaublichen  Preisen, die sich der arme Tom nicht leisten kann.

Und dann wird der arme Tom als seelischer Mülleimer von einem einsamen Nachbarn missbraucht. 

Jetzt trifft er sich gerade mit zwei Freunden, der  eine  trägt die Uniform  eines Wehrmacht-Offiziers und beschreibt mit großer Inbrunst seine Rolle in  dem Film, in dem er gerade mitspielt. 

Ich kann das gar nicht mit ansehen! Der arme Tom.

Aber toller Film.

Mittwoch, 5. August 2015

Reminder to Self

Mein Qi fließt sowas von!

Nach gefühlten hundert Jahren war ich endlich wieder beim Sport. "Mein" Verein ist auf der anderen  Seite der Straße, in der ich wohne, und ich hatte und habe vom Balkon aus den täglichen Blick auf die schicke Halle und damit auf die konkrete Mahnung, von der Karteileiche wieder zum aktiven Mitglied zu werden.

Ich wollte schon seit Wochen wieder zum Qi Gong, denn das ist niedrigschwellig genug für Faultiere wie mich, und ich hatte früher sogar Spaß dabei. Vom gesundheitlichen Nutzen mal abgesehen. Und dieser Tage knurpst und zwickt es wieder an den üblichen Stellen - die Motivation sollte doch wirklich ausreichen. Ich verstehe selbst nicht, warum ich Dinge, die mir rundherum gut getan haben, meist nach einer gewissen Zeit wieder sein lasse. Mich aber dann darüber endlos gräme und schäme.  

Ein Grund ist sicher, dass ich sehr lange überhaupt nichts mit meinem Körper zu tun haben wollte. Den spürt man nun mal bei Bewegung, und ich hatte schon als kleines Kind das Betäubungsmittel Essen entdeckt. Essen half, das innere Loch zu füllen und gleichzeitig die "Wunde der Ungeliebten" (Peter Schellenbaum) zu betäuben. Wie jeder und endlich auch ich weiß: klappt nur scheinbar und ist nicht nachhaltig.

Weiterer Grund: zu meiner Schulzeit war die überwiegende Mehrzahl der Sportlehrer dem alten Nazi-Ideal noch innigst  verbunden. Jedenfalls bin ich davon überzeugt, denn ich habe in der Schule fast nur "Drill Sergeants" erlebt - und zwar weibliche - aber keine Lehrer, die uns Kindern Freude an Bewegung und sportlicher Betätigung vermitteln wollten. 

Meine Lehrerinnen hatten für weniger talentierte Mädchen nur Verachtung übrig. Besonders vor Geräten und großen Bällen hatte ich regelrecht Todesangst. Dafür wurde ich ausgelacht und nicht etwa ermutigt, die Angst zu überwinden. Ich war schnell davon zu überzeugen, dass ich ein unsportlicher und unbeweglicher Mehlsack sei. Und zwar völlig ungeachtet der Tatsache, dass ich im Sommer mit den anderen Kindern draußen stundenlang herum getobt bin, dass ich Federball und Gummitwist geliebt und mir in den Ferien das Schwimmen selbst beigebracht habe. Lehrer hatten eben Recht, und mich als unfähig zu erleben, passte nahtlos in mein Selbstbild.

Ich glaube, ich habe erst mit Anfang Dreißig wieder entdeckt, dass Sport Spaß machen kann. Die einzige Ausnahme war immer das Tanzen gewesen, aber das zählte offenbar nicht. Schon erstaunlich, wie man gleichzeitig sehr klug und sehr beschränkt sein kann. 

Bis dahin hatte ich immerhin verstanden, dass ich mit Essen nicht nur meine Gefühle, sondern auch meinen Bewegungsdrang betäubt hatte. Essen hat mir lange als Rundum-Beruhigungsmittel gedient. Irgendwann war ich nicht mehr nur ruhig, sondern schon eher apathisch.

Ich weiß noch, wie seltsam ich mich fühlte, als ich dem Sportverein beitrat. Als würde ich etwas Illegales tun - wahrscheinlich hätte ich dasselbe Gefühl, wenn ich los ginge und Koks kaufen würde. Also nicht das für die Ofenheizung. Und was für Lampenfieber ich hatte vor dem ersten  Kursbesuch. Als müsste ich jederzeit damit rechnen, wieder ausgelacht und gedemütigt zu werden. Womöglich gar davongejagt.  Qi Gong hatte ich mir ausgesucht, weil ich schon ein paar Vorkenntnisse besaß, sonst hätte ich das nie gewagt. 

Ich musste ja alles immer sofort können und durfte keine Fehler machen. Ich durfte mir nie erlauben, etwas ganz in Ruhe und mit den üblichen Rückschlägen zu erlernen. Solche Überzeugungen sind verdammt hartnäckig. Was ich dadurch alles verpasst habe! Aber die Zeiten sind vorbei, und ich bin froh darüber. 

Ich mag ja den Spruch "Mir ist nichts mehr peinlich." So weit bin ich noch lange nicht, und hundertprozentig erstrebenswert kann ich es nicht finden. Es gibt durchaus Dinge, die einem immer peinlich bleiben sollten. Wenn das nicht mehr der Fall ist, sollte man zum Arzt. Für mich gilt der Spruch jedoch schon weitgehend bei Albernheiten und Ungeschick-lichkeiten. Was für eine Befreiung. 

Also Qi Gong,  von heute an wieder jede Woche, und das Schwimmbad lockt ebenfalls. 

What will be next?!

(Für meine Freundin Karin - unsere Freiburger Plauderstunden hatten Wirkung :-)